„In ist, wer drin ist“
– dieser Trend wird wohl auch in den nächsten Jahren nicht unmodern. Die Digitalisierung unserer Gesellschaft ist kein evolutionärer Prozess, sondern tatsächlich eine alle Individuen und Organisationen betreffende Revolution. Doch werden durch den Umbruch der medialen, technologischen und sozialen Kommunikation die Systeme als Ganze auch klüger? Oder zumindest innovativer? Wie verändert sich das Wissen quantitativ und vor allem qualitativ, und wo wird es gespeichert? Wer kann noch entscheiden, welche Reichweiten sinnvoll sind, welche Funktionen genutzt und welche Effekte eher eingedämmt werden sollten? Was bedeuten die virtuelle Kommunikation und Kooperation für den Einzelnen, wie arbeitet es sich in der Cloud, als ganz realer Mensch? Wer oder was agiert als Treiber und Gestalter, wer oder was bleibt freiwilliger oder unfreiwilliger Empfänger oder Konsument? Inwieweit sind also individuelle Abwägung und Positionierung überhaupt noch möglich, z.B. in Form einer internetfreier Phase der Adoleszenz?
Wenn es sicher ist, dass die Digitalisierung unser soziales Miteinander im Kern verändert, so sollten wir auch mitentscheiden können, wohin die Reise geht. Der Auftrag geht an die Akteure in Wissenschaft, Forschung, Wirtschaft und Politik, und irgendwie auch an jeden Einzelnen von uns, wenn wir den den Anspruch an ein selbst gestaltetes soziales Leben aufrecht halten. Um diese Gedanken und Handlungsfelder zu sortieren, vor allem aber auch erst einmal zu formulieren, befinden wir uns aktuell – hätten Sie´s gewusst? – im Wissenschaftsjahr der Digitalisierung. Das vom Bundesbildungs- und Forschungsministerium initiierte Projekt will die Perspektiven der digitalen Kommunikation, des digitalen Wissens und der digitalen Wirtschaft ausloten und breit diskutieren. Digitalisierung soll zugleich vorangebracht und hinterfragt, das bereits Selbstverständliche kommuniziert und zugleich neu gestaltet werden. Ob das gelingen kann? Tatsächlich bestünde darin die wichtigste Prämisse: durch das Verstehen der Digitalisierung ihre Möglichkeiten so zu nutzen, dass wir als Einzelne und als Gesellschaft besser (ob nun innovativer oder klüger sei noch dahin gestellt) und nicht (ob unseres verständnislosen Mittrottens) gemeinsam blöd.
Auswirkungen der Digitalisierung
Wohin führt also die Digitalisierung und was bringt sie für unser alltägliches Leben? Dazu führte dazu das Institut für Demoskopie Allensbach im Januar diesen Jahres 1.515 Face-to-Face-Interviews mit dem sogenannten repräsentativen Querschnitt der über 16-Jährigen durch. Die Einschätzung: durchaus offen. Die Aussichten: eher gemischt. So wird einerseits eine deutliche qualitative Verbesserung der Nutzungsmöglichkeiten und Sicherheitsstandards erwartet, die über eine größere Partizipation, bessere Zugänglichkeit und maximale Verfügbarkeit von Wissen die allgemeine Bildung durchaus vergrößern können (42 %). Womöglich effektiviert auch die Digitalisierung des Unterrichts im schulischen und akademischen Bereich die Lerneffekte der Schüler und Studierenden (51 bzw. 48 %). Zugleich stimmen jedoch 64 % der Befragten der Aussage zu, dass dieses ständig verfügbare Informationsangebot insgesamt dazu führt, „dass die Menschen weniger lernen und nachdenken“ werden. Das sollte zumindest nachdenklich stimmen.
Die Zukunftsprognose zielt auf die nächsten 10 Jahre, wir haben also noch ein bisschen Zeit, diese zu differenzieren oder besser zu beeinflussen. Bestehendes – und im Internet schnell auffindbares – Wissen gibt es dazu bereits: So hat der Systemtheoretiker und Soziologe Niklas Luhmann, der sich intensiv mit der Entwicklung von Medien in der Gesellschaft und der Gesellschaft durch die Medien befasst hat, bemerkt, dass wir uns grundsätzlich in einer Situation der Überforderung durch neue Medien befinden, auch wenn wir diese selbst aktiv kreiert haben. Da grundsätzlich jedes neue Kommunikationsmedium unendlich viel mehr Möglichkeiten bereitstellt, Informationen zu finden, zu speichern und zu vermitteln, als der Einzelne bzw. die Gesellschaft jeweils verarbeiten kann, hinkt unser Begreifen den Möglichkeiten, uns auszudrücken und auszutauschen, stets deutlich hinterher. Für die nachhaltige Verbreitung und Etablierung neuer Medien müssen deshalb gleichzeitig neue Orientierungs- und Sortierungsinstrumente entwickelt werden, mittels derer das jeweils Mögliche auf das Bearbeitbare reduziert werden kann. Sowohl das Auftreten der Veränderungen als auch der Umgang damit sind – so beschreibt es Luhmann in der Entwicklungslogik menschlicher Gesellschaften – immer sozio-kulturell determiniert, d. h. von einer sehr unterschiedlichen Dynamik, je nachdem wie viel Neues eine soziale Formation zuzulassen oder aktiv zu entwickeln vermag. Wenn wir also Grenzenlosigkeit anstreben, so sollte uns zugleich klar sein, dass wir erst ein bisschen klüger werden müssen, um diese zu bewältigen und nicht darauf hoffen, dass dieser Zustand durch das Neue allein irgendwie eintreten wird. Digitalisierung ist ein solcher machtvoller Trend, der weder zu fürchten ist noch ignoriert werden kann. Doch selbst als lässige Smartphone-Verwender, Twittergrößen, Blogger, Social Media-Aktivisten oder Alltagsgoogler sind wir heute noch lange nicht in der Lage, die Chancen der Digitalisierung wirklich zu nutzen und die Risiken zu verstehen. Dazu helfen Aktionen von Politik und Wissenschaft sicherlich ein Stück weit. Die größte Wegstrecke jedoch obliegt jeder Organisation, jeder Familie und jedem Einzelnen allein, nämlich möglichst vieles über Digitalisierung zu lernen, um schließlich durch Digitalisierung – zumindest ein bisschen – klüger zu werden.
Ihre Anja Ebert-Steinhübel