Qualifiziert!? Können Sie vergessen….

Wie oft hören wir mit Stolz: „unsere Leute können etwas, die sind bestens qualifiziert, andere stellen wir gar nicht erst ein …“ (so ähnlich ein aktuelles Zitat in der regionalen Presse). Vielfach zwar überhört oder überlesen, zeugen derartige Aussagen doch von einer falsch verstandenen Wertschätzung und, schlimmer noch, Führungsversagen gegenüber der Notwendigkeit, die Fähigkeit und Motivation zum lebenslangen Lernen in den Unternehmen vorzuleben und zu verankern. Aber machen Sie sich bitte nichts daraus, wenn Sie sich selbst bislang als „qualifiziert“ beschrieben haben oder so bezeichnet worden sind. – Nur: denken oder holen Sie sich schnellstens verbalen Ersatz!

Lernen, gelernt, … ausgelernt!?

Früher gab es mehr Pausen: Vor den Sommerferien, nach dem Schul-, Ausbildungs- oder Hochschulabschluss hatten wir für eine Zeit zumindest „ausgelernt“. „Zusatz-“Qualifikationen und „Weiter-“Bildung fand immer dann statt, wenn zum Aufstieg oder der neuen Aufgabe in der Berufskarriere noch ein Stückchen gefehlt hat. Den Schlusspunkt des Lernens wurde schließlich im Übergang zum „wohlverdienten“ Ruhestand mit einer Urkunde oder einem Stück von „dauerhaftem“ Wert belohnt. Heute ist nicht nur das, was Hänschen einst gelernt hatte, nicht mehr viel wert. Ganze Berufsbilder erfinden sich im Zuge der Digitalisierung ihrer Methoden und Anwendungsfelder gerade neu. Gleichzeitig wird das etablierte System der Bildungswege und -abschlüsse immer durchlässiger, führen neue Kooperationen zwischen Schule, Hochschule und Beruf zu spezialisierten oder übergreifenden Qualifikationen auf Zeit. Aus der Bildungstreppe oder -pyramide ist ein privat und beruflich zu nutzendes Laufrad geworden – das viele Unterstützer hat, aber nur mit Eigenantrieb funktioniert.

Konservatives Recruiting verfehlt das Ziel

Der Blick auf die Stellenanzeigen und Einblicke in die Unternehmenspraxis offenbart große Unsicherheit, wie neue Profile für neue Positionen zu finden, zu vergleichen und zu bewerten sind – vor allem dann, wenn eine klare Anforderungs- und Kompetenzdefinition fehlt oder nicht durchsetzbar erscheint. Das Dilemma ist offenbar: Potenzielle Talente gehen verloren oder kommen gar nicht unter das Radar angesichts allzu starrer Konzepte von „Passung“ in die Organisation. Umgekehrt sind für das Heute (bzw. in der Regel für die Vergangenheit) formulierte „Fits“ in einem dynamischen Morgen nicht mehr gültig. Die Demotivation auf der einen und der Misserfolg anderen Seite sind damit vorprogrammiert. Um kein Missverständnis zu erzeugen: Es geht nicht darum, alle bisherigen Verfahren einem quasi anarchischen Prozess zu öffnen („digital anything“), sondern den Mut für eine andere Perspektive zu haben, damit neue Verfahren nicht die alte Logik doppeln und Raum für neue Beschreibungen und Formate geschaffen wird. Wichtig ist auch, den Blick fürs Neue nicht nur nach außen zu richten, sondern von häufig versteckten oder ungenutzten Potenzialen im Team zu profitieren. Gerade interne Neu- und Umbesetzungen bieten die Chance, alte Zöpfe abzuschneiden, standardisierte Aufstiegsmodelle und -hierarchien zu kreuzen und durch flexible und dynamische Entwicklungsszenarien zu ersetzen.

Zukunftsfähige Organisationen sind agilent

Agilität im Sinne einer reibungsfreien Anpassungsreaktion und resultierenden Veränderungskompetenz ist eine Grundvoraussetzung organisationaler Zukunftsfähigkeit. Diese „Agilenz“ benötigt ein hohes Maß an Selbststeuerung im Prozess (z.B. durch eine holokratische Verfassung) und ein damit verbundenes Maß an Eigenverantwortung, orientiert an den gemeinsamen Zielen und Werten der Organisation. Personal- und Organisationsentwicklung waren aus unserer Sicht immer schon zusammen zu denken und zu gestalten. In einer transformativen Führungs- und Unternehmenskultur wird dieses Zusammendenken zum bereichsübergreifenden Prinzip: Das im englischsprachigen Raum bekanntere „Learning und Development“ forciert stärkere Impulse aus dem Bildungsbereich in die Unternehmensentwicklung hinein (van Dam 2018). Hier ist der Prozess bislang stärker umgekehrt motiviert. Aus beiden Richtungen geht es um ein Diffundieren des Lernprinzips aus der wie auch immer gearteten Abteilung heraus in die gesamte Organisation.

Gütesiegel? Solange drin ist, was drauf steht…

Klar ist, an schönen neuen Begriffen mangelt es uns nicht. Andererseits brauchen wir dringend weitere und andere Gütesiegel zur Bewertung unseres Tuns. Denn: Begreifen (was?) ist der erste Schritt für ein anderes Verhalten. Motivation (wozu?) und Erfahrung (wie?) unterstützen den Lernprozess. Der mit neuer Kluft und Benamung ausgestattete „Serviceengel“ bringt uns zur Verzweiflung, wenn hinter der Fassade der alte Jobverrichter zum Vorschein kommt. Für das individuelle und organisationale Lernen gilt dasselbe: Eine (lebenslange) Lernkultur braucht ein ebensolches interaktives, individuelles, integratives, informelles und initiatives Development, d.h. eine das Lernen in den Mittelpunkt stellende Strategie, Struktur und Kultur. Diese fünf „I’s“ als Kriterien der drei „L’s“ des Lifelong Learnings bilden einen guten Ausgangspunkt für die Gestaltung des eigenen Bildungsprozesses. Klassische Weiterbildungskataloge und zertifizierte Programme sind in der schönen neuen Welt des Lernens nicht obsolet, rücken aber vom Ziel- auf den Anfangspunkt der POE-Aktivität, i.e. nicht als Ergebnis der Bildungs(abteilungs)leistung, sondern als Mittel zum Zweck für das Neue, das daraus erst folgen soll.

Erfolgsfaktor Bildung in der L&D-Kultur

Das Learning and Development der Organisationen steht – in welcher Verantwortung und Bereichsbezeichnung auch immer – vor der enormen Herausforderung, offene und geschlossene, digitale und analoge, formale und informelle Bildungsangebote für einen einerseits verbindlichen und bewertbaren, andererseits individuell gestaltbaren Lernprozess bereitzustellen. Das verändert die Rolle der Personaler und Führungskräfte hin zu Impulsgebern und Coaches im Prozess. Und es verändert die Bedeutung des Lernens in und für die Organisation: Gerade auch kleine und mittlere Unternehmen können diese Aufgabe nicht an öffentliche Institutionen delegieren, sondern werden auch in ihrer Arbeitgeberattraktivität und ihrem Employer Branding an dieser Bildungsqualität gemessen. In der modernen LLL-Organisation findet Bildung immer statt, mit einer neuen Klassifikation individueller Lernszenarien und einem systematischen Transfer von Bildungs- in Unternehmenserfolg.

 

Ein Beispiel, wie Bildung in der Praxis neu gestaltet werden kann, finden Sie hier. Wissenswertes zum Lifelong Learning bzw. Digital Learning haben wir u.a. hier für Sie  formuliert.

Anja Ebert-Steinhübel
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