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Im modernen Sprachgebrauch dürfen sie sich gerade über ein Upgrade freuen: Beschrieben „Skills“, i.e. erworbene „Fähigkeiten“ und erlernte „Fertigkeiten“ ursprünglich die Summe der formalen und informellen „Qualifikation“ einer Person, erscheinen sie im neueren Management-Sprech plötzlich als soziale, fachliche und methodische „Kompetenz“. Die persönliche Motivation und Fähigkeit also, das neue Wissen und Können nicht nur zu behalten, sondern auch gezielt, reflektiert und passgenau anzuwenden, folgt damit als Lieferung frei Haus.

Bildung braucht mehr als Wissen. Kompetenz braucht mehr als Können. Reflexion und Entwicklung brauchen mehr immer mehr Skills

Hinter der vermeintlichen Wortklauberei liegt ein ernsthaftes Problem: Natürlich ist es wichtig und richtig, dass wir als Einzelne und als Gesellschaft immer mehr und immer weiter lernen. Dass wir dies in und für eine digitale Arbeitswelt auch in entsprechenden Formaten konsumieren und präsentieren, und dieser Trend zu „Learning-Nuggets“ mit „Micro-Zertifikaten“ mittlerweile auch die akademische Bildungslandschaft weiter differenziert, nur ein folgerichtiger Schritt.

Erfolgskritisch aber ist die Frage nach dem Kontext und dem persönlichen und fachlichen Gehalt

Lernen steht immer in einem persönlichen und sozialen Bezug: Auf Vorrat zu lernen, funktioniert in der Regel nicht. Wissen und Zertifikate im Sinne von Skills schlicht anzuhäufen, erweitert gleichermaßen nicht die Kompetenz, die sich immer erst in der persönlichen Reflexion und der situativen Anwendung erschließt. Ein immer mehr an Skills ist daher nur die halbe – und manchmal leider auch die falsche – Miete für ein mehr an Erfolg in der gegenwärtigen oder zukünftigen Position.

Die organisationale Lern- und Veränderungsbereitschaft wirkt als Bremse oder Motor der Transformation

Die Bewältigung der internen und externen Veränderungsprozesse ist für große wie kleine Unternehmen ein Mammutprojekt und zentrale Zukunftsaufgabe zugleich.  Schlüssel dazu ist ein transparentes und funktionierendes Skill-Management, das nicht nur die Frage beantwortet, wer in welchem Zeitraum welches Wissen neu oder anders erlernen muss, sondern auch wie dieses aufgrund der individuellen und organisationalen Veränderungstoleranz jeweils zu dosieren ist.

Personal- und Organisationsentwicklung gehen – mehr denn je – Hand in Hand

Einerseits gilt also weiterhin, die individuelle und übergreifende Offenheit für ein Re- und Upskilling als Kulturmerkmal zu entwickeln. Andererseits bedarf es einer klugen Moderation und Dosierung der Prozesse, um weder Übereifer noch Überdruss zu produzieren, wenn beispielsweise die persönliche Lerngeschwindigkeit überschätzt oder umgekehrt die organisationale Agilität mehr Wunsch als Wirklichkeit bedeutet. Auch ein Zuviel an Selbstorganisation kann dabei zerstörerisch sein, wenn nämlich ein permanenter Veränderungsdruck Ängste und Unsicherheit gerade bei sehr erfahrenen Mitarbeiter:innen kreiert.

Skills plus Leadership als Rahmen für die Transformation

So schön und spannend die neue Welt eines permanenten, selbständigen und informellen Lernens scheint, so wichtig ist es, eine neue Form der Anerkennung, Bewertung und Verbindlichkeit dafür zu entwickeln. Dazu aufgerufen ist über die HR-Bereiche hinaus die gesamte Führungsmannschaft einer Organisation, die das neue Lernen als strategischen Auftrag versteht, den es nicht nur strukturell, sondern vor allem auch kulturell zu meistern gilt.

Alle sprechen vom New Learning (wir auch :-)) – aber was heißt das eigentlich? Was ist wirklich „neu“ daran, was besser, anders, innovativer, transformativ? New Learning ist eine Antwort auf die extremen Umwälzungen der Wirtschaft und Gesellschaft im Zuge der digitalen Transformation. Gleichzeitig, und genau darin liegt die wohl noch größere Chance des Begriffs, ist das New Learning immer ergebnisoffen konzipiert, in der Frage nämlich, wie im jeweiligen Heute ein Lernen von der sich gerade abzeichnenden Zukunft sowie ein Lernen für diese Zukunft organisiert (und erlernt) werden kann, die sich durch eine unvorstellbare Unsicherheit, Mehrdeutigkeit und Komplexität auszeichnen wird.

Das Lernen neu denken, erfahren und gestalten

New Learning heißt – so formuliert es das Hagener Manifestdas Lernen komplett neu zu denken, i.e. alle Inhalte, Formate und Techniken, zugleich aber auch die Wirkungen, Akteure und ihre Rollen grundsätzlich zu reflektieren und (im Sinne eines deutero-learnings) auf den Prüfstand zu stellen. Nicht nur was oder wie, sondern auch wozu wir überhaupt lernen, welche Bedeutung also das Lernen in welchen persönlichen, wirtschaftlichen Lagen jeweils hat, gerät damit (neu) in den Fokus der Diskussion. New Learning zielt auf eine neue Erfahrung des Lernens aller Beteiligten in jedem Bildungskontext – und dies ein Leben lang.

New Learning heißt, die Inhalte, Formate und Techniken des Lernens neu zu entwickeln. Digitale Schlüsselkompetenzen und Future Skills stehen schon jetzt auf einer erweiterten Lern-Agenda der institutionellen und privaten Bildungsakteure und -manager. Digitale oder hybride Lernsettings und -formate bieten die Möglichkeiten, dabei nicht nur zeit- und raumunabhängig didaktisch „versorgt“ zu werden, sondern vor allem auch selbstbestimmt den individuellen Lernbedarfen Rechnung zu tragen. Dass dabei nicht nur auf eine schier unendliche Fülle an Wissensbeständen zugegriffen werden kann (sofern die persönliche Orientierungs-, Strukturierungs- und allgemeine Medienkompetenz dies erlaubt), sondern auch auf die Chance, sich mit Expert*innen und Lernenden im sozialen Netzwerk der ganzen Welt auszutauschen, macht den besonderen Charme des digitalen Lernens aus.

Eine neue Kultur des Lernens entwickeln

New Learning heißt nicht nur mehr zu lernen, sondern besser. Es heißt nicht nur permanent zu lernen, sondern anders. Das setzt eine neue Kultur des Lernens voraus, die nicht nur irgendeine Innovation bedeutet, sondern unsere Fähigkeit und Bereitschaft zum Umgang mit Veränderungen (bzw. Krisen im Besonderen) begründet, trägt und nährt. New Learning ist weniger ein didaktisches, denn ein soziales Projekt, das auf den Schultern der privaten und öffentlichen Akteure in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gleichermaßen zu schultern ist. Das Schlagwort vom Lebenslangen Lernen weist uns dazu seit über 50 Jahren den bildungs- und gesellschaftspolitischen Weg: Als Chance für ein besseres Leben, für soziale Teilhabe, für wirtschaftlichen Aufstieg ist das „Lifelong Learning to Become“ – so formuliert dies die UNESCO-Initiative Futures of Education – nicht nur für das Glück des Einzelnen, sondern für ein nachhaltiges Zusammenleben aller und das Überleben unseres gemeinsamen Planeten maßgeblich relevant.

Neue Lernorte: immer und überall

New Learning setzt nicht nur neue Lernformate, sondern eine Reorganisation der Lernorte – in den Schulen, Ausbildungsstätten und am Arbeitsplatz – voraus. Ob nun das New Learning eine Folge der New Work-Debatte ist oder umgekehrt, scheint dabei nachrangig. Jenseits der Buzzwords geht es um die Frage, wie auf der einen Seite die Transformation unserer Arbeitswelt mit einer flexiblen, individuellen und kooperativen Produktion von Wissen, Produkten und Leistungen mittels neuer, übergreifender ebenso wie hoch spezialisierter Kompetenzen, Rollen und Prozesse gelingt, und wie dieser Change schlicht ausgehalten, befeuert und bestmöglich gestaltet werden kann.

New Learning findet – und das ist die gute Nachricht – unter ganz unterschiedlichen Bezeichnungen und in ganz unterschiedlichen Formaten längst statt. Ob dies durch neue, offenere und vor allem selbst bestimmte und organisierte Formate des Corporate Learnings passiert, durch neue Rollen zur Lernbegleitung und -unterstützung an Schulen und Hochschulen, in einer zunehmenden Durchlässigkeit und Entformalisierung der Bildungsabschlüsse, -ebenen und -institutionen oder mittels einer programmatischen öffentlichen Förderung übergreifender Netzwerke und Kooperationen im Bildungs- und Arbeitskontext – sind wir bereits alle, wenn auch in unterschiedlichen Geschwindigkeiten und vermutlich auch Motivationen längst nicht am Ziel, doch schon auf dem Weg.

Wenn die Zeit auch drängt – nehmen sollten wir sie uns trotzdem: für einen breiteren Diskurs über das Lernen – mit welcher Vorsilbe auch immer – und genügend Raum für Experimente und Erfahrungsaustausch dazu. Dazu aufgefordert sind wir im Übrigen alle. Denn egal, ob wir es gerade auf der Agenda haben oder nicht, ob wir als Professionals im Bildungskontext agieren, als Personalverantwortliche in der Organisation oder nicht: ohne ein aktives Miteinander im Weiterlernen geht es ganz sicher nicht.

Lernen, um (besser) zu leben

Am besten wohl verstehen wir New Learning als Frage: Was, wie und wozu können, wollen, müssen und sollen wir heute für eine bessere Zukunft von morgen lernen? Lernen ist, von seinem neuro(psycho)logischen Prozess her definiert, ein Phänomen des Sammelns, Einordnens, Assoziierens – so lange, bis sich eine gewisse Zufriedenheit in unserem Verständnis einstellt und solange, wie uns dieser Prozess selbst eine Art von Gratifikation verschafft. Diese Logik des Lernens ändert sich nicht. Auch wenn das Neue am Lernen einmal verblasst, müssen wir daher alles tun, um Normalität (auch kein so schön formuliertes „New Normal“) zu etablieren. Denn eines ist sicher: wenn es ohne Lernen nicht funktioniert, dann ohne die Lust auf Lernen schon zweimal nicht!

 

Bildquelle: unsplash/Markus Spiske

Haben Sie sich schon einmal Gedanken darüber gemacht, wann und wie Ihnen Lernen richtig Spaß macht – und gerade deshalb am erfolgreichsten gelingt? Tatsächlich ist der Spaß an der Sache (oder besser ausgedrückt: die positive Motivation) bereits die halbe Miete: In unsere komplexen kognitiven Netzwerke, die für das Behalten, Erinnern und Wieder-Abrufen von Wissen und Erfahrungen zuständig sind, gelangen nur die Informationen und Zusammenhänge, die für uns positiv konnotiert sind, eine wichtige Bedeutsamkeit haben, i.e. irgendwie be-merkenswert erscheinen. Das geht sogar soweit, dass man über die Situation, in der eine neue Erfahrung realisiert wird, wie z.B. ein besonders angenehmes Gespräch oder auch die sonnige Bank im Park etc., kognitive und emotionale Assoziationen immer wieder neu auszulösen vermag und damit „bleibende“ Eindrücke generiert.

Die Lernpsychologie differenziert verschiedene Arten des Lernens, die sich in der Theoriegeschichte zeitlich nacheinander entwickelt haben und in ihrer Komplexität zunehmen: Nach den behavioristischen (Lernen durch Verstärkung versus Bestrafung) und kognitivistischen (Lernen als Leistung des Gehirns) Ansätzen geht man heute – zeitgemäß – von einem sehr stark individualisierten konstruktivistischen (Lernen als aktiver, interessensgesteuerter Prozess) Lernvorgang aus. Quasi überlagert werden die drei theoretischen Varianten von den sozialpsychologischen und -soziologischen Modellen, die auf die Bedeutung der Umgebung und anderer Menschen (als Vorbilder oder abschreckende Beispiele) verweisen. Deren wichtigster Vertreter Albert Bandura sieht die Existenz des „animal sociale“ kognitiv in unserem Mit-Empfinden und Mit-Denken gespiegelt. Nicht nur erwerben wir in der Beobachtung unserer Umgebung und der für uns als positiv oder negativ, fokussiert oder beiläufig betrachteten Anderen neue Erfahrungen und Erkenntnisse (quasi im Passivmodus) automatisch mit. Sondern wir lernen zugleich auf der Metaebene etwas über uns selbst, in dem wir diese sekundären Learnings für uns bewerten, verfügbar machen und uns dazu positionieren (wenn wir dies auch wollen).

Ganz gleich von welchem Standpunkt aus wir es betrachten: Lernen als sozial reflektierter Prozess ist immer wirkmächtiger als die einsame Rezeption von Wissen. Das bedeutet nicht, dass die Lektüre online oder offline verfügbarer Inhalte gar keinen (Lern-)Effekt ergibt, stets aber einer Ergänzung, Spiegelung und Überprüfung (und sei es im Selbstgespräch unter der Dusche) in der weiteren Kommunikation bedarf, um längerfristig be-halten zu werden. In der Personalentwicklung wurde dies vor etwa 40 Jahren in der sogenannten „70-20-10-Formel“ (McCall, Eichinger, Lombardo) zusammengefasst:

„70-20-10-Regel“

 

Selbst wenn die „Faustregel“ nur einen Anhaltspunkt über die Dimensionen der Wirksamkeit darstellt, sind darin die dramatischen Implikationen für klassische „Weiter-“ oder „Fort-Bildungsmaßnahmen“, ganz gleich, ob diese online oder offline vermittelt werden, offenbar: Die Trennung von Wissensvermittlung (als Workshop-, Trainings-, Vorlesungs- oder Seminarformat) und Praxis erscheint am wenigsten erfolgversprechend, bildet aber realiter die Mehrzahl der Angebote ab. Die Umkehrung eines nicht nur auf Transfer, sondern vielmehr auch auf Exploration hin ausgerichteten Lernens (das wiederum einer wie auch immer gearteten formalisierten Reflexion und Kommunikation bedarf, um wirksam und vor allem auch geteilt zu werden), ist demgegenüber ein in der Unternehmens- und Bildungspraxis noch kaum verbreiteter Weg. Das im US-sprachigen Raum populäre Konzept des „Learning Workspace“ (Hart) zeigt, wie es besser gehen kann und wohin wir beispielsweise durch neue Ansätze eines Corporate Learnings, das die Personal- und Organisationsentwicklung strategisch dimensioniert, integriert und damit Lernen am und für den Arbeitsplatz neu zu beschreiben versucht. Noch gibt es einige Hürden zu überwinden, z.B. formale Fragen der Zertifizierung und des Wissenstransfers. Vor allem aber bedarf es eines neuen Mindsets in Führung und Organisation, damit es nicht künftig heißt. Arbeitet der Mitarbeiter xy gerade – oder lernt er nur?

Am ehesten verbreitet, zumal sich hierfür eine Vielzahl sehr unterschiedlicher und effektiver Formate wie Coachings, Mentorings, Labs, Wissenszirkel etc. anbieten, ist das Lernen in bzw. aus sozialer Interaktion. In modernen Unternehmen wird dieser Austausch, insbesondere auch zwischen unterschiedlichen Bereichen, Ebenen und Regionen zunehmend institutionalisiert. WOL-Zirkel sind ein wunderbares Beispiel dafür.

Lernen in und für die Organisation erbringt im Idealfall ein Mehr an Kompetenz und Profitabilität. In der aktuellen Veränderungsintensität wirkt diese neue, weniger strukturierte, individualisierte und weitgehend selbstorganisierte Variante unterstützend – nicht nur im Sinne eines Wissenszuwachses, sondern vor allem in einer geringeren Angst vor dem Neuen und dem möglichen Versagen qua Qualifikation und Motivation.

Wie oft hören wir mit Stolz: „unsere Leute können etwas, die sind bestens qualifiziert, andere stellen wir gar nicht erst ein …“ (so ähnlich ein aktuelles Zitat in der regionalen Presse). Vielfach zwar überhört oder überlesen, zeugen derartige Aussagen doch von einer falsch verstandenen Wertschätzung und, schlimmer noch, Führungsversagen gegenüber der Notwendigkeit, die Fähigkeit und Motivation zum lebenslangen Lernen in den Unternehmen vorzuleben und zu verankern. Aber machen Sie sich bitte nichts daraus, wenn Sie sich selbst bislang als „qualifiziert“ beschrieben haben oder so bezeichnet worden sind. – Nur: denken oder holen Sie sich schnellstens verbalen Ersatz!

Lernen, gelernt, … ausgelernt!?

Früher gab es mehr Pausen: Vor den Sommerferien, nach dem Schul-, Ausbildungs- oder Hochschulabschluss hatten wir für eine Zeit zumindest „ausgelernt“. „Zusatz-“Qualifikationen und „Weiter-“Bildung fand immer dann statt, wenn zum Aufstieg oder der neuen Aufgabe in der Berufskarriere noch ein Stückchen gefehlt hat. Den Schlusspunkt des Lernens wurde schließlich im Übergang zum „wohlverdienten“ Ruhestand mit einer Urkunde oder einem Stück von „dauerhaftem“ Wert belohnt. Heute ist nicht nur das, was Hänschen einst gelernt hatte, nicht mehr viel wert. Ganze Berufsbilder erfinden sich im Zuge der Digitalisierung ihrer Methoden und Anwendungsfelder gerade neu. Gleichzeitig wird das etablierte System der Bildungswege und -abschlüsse immer durchlässiger, führen neue Kooperationen zwischen Schule, Hochschule und Beruf zu spezialisierten oder übergreifenden Qualifikationen auf Zeit. Aus der Bildungstreppe oder -pyramide ist ein privat und beruflich zu nutzendes Laufrad geworden – das viele Unterstützer hat, aber nur mit Eigenantrieb funktioniert.

Konservatives Recruiting verfehlt das Ziel

Der Blick auf die Stellenanzeigen und Einblicke in die Unternehmenspraxis offenbart große Unsicherheit, wie neue Profile für neue Positionen zu finden, zu vergleichen und zu bewerten sind – vor allem dann, wenn eine klare Anforderungs- und Kompetenzdefinition fehlt oder nicht durchsetzbar erscheint. Das Dilemma ist offenbar: Potenzielle Talente gehen verloren oder kommen gar nicht unter das Radar angesichts allzu starrer Konzepte von „Passung“ in die Organisation. Umgekehrt sind für das Heute (bzw. in der Regel für die Vergangenheit) formulierte „Fits“ in einem dynamischen Morgen nicht mehr gültig. Die Demotivation auf der einen und der Misserfolg anderen Seite sind damit vorprogrammiert. Um kein Missverständnis zu erzeugen: Es geht nicht darum, alle bisherigen Verfahren einem quasi anarchischen Prozess zu öffnen („digital anything“), sondern den Mut für eine andere Perspektive zu haben, damit neue Verfahren nicht die alte Logik doppeln und Raum für neue Beschreibungen und Formate geschaffen wird. Wichtig ist auch, den Blick fürs Neue nicht nur nach außen zu richten, sondern von häufig versteckten oder ungenutzten Potenzialen im Team zu profitieren. Gerade interne Neu- und Umbesetzungen bieten die Chance, alte Zöpfe abzuschneiden, standardisierte Aufstiegsmodelle und -hierarchien zu kreuzen und durch flexible und dynamische Entwicklungsszenarien zu ersetzen.

Zukunftsfähige Organisationen sind agilent

Agilität im Sinne einer reibungsfreien Anpassungsreaktion und resultierenden Veränderungskompetenz ist eine Grundvoraussetzung organisationaler Zukunftsfähigkeit. Diese „Agilenz“ benötigt ein hohes Maß an Selbststeuerung im Prozess (z.B. durch eine holokratische Verfassung) und ein damit verbundenes Maß an Eigenverantwortung, orientiert an den gemeinsamen Zielen und Werten der Organisation. Personal- und Organisationsentwicklung waren aus unserer Sicht immer schon zusammen zu denken und zu gestalten. In einer transformativen Führungs- und Unternehmenskultur wird dieses Zusammendenken zum bereichsübergreifenden Prinzip: Das im englischsprachigen Raum bekanntere „Learning und Development“ forciert stärkere Impulse aus dem Bildungsbereich in die Unternehmensentwicklung hinein (van Dam 2018). Hier ist der Prozess bislang stärker umgekehrt motiviert. Aus beiden Richtungen geht es um ein Diffundieren des Lernprinzips aus der wie auch immer gearteten Abteilung heraus in die gesamte Organisation.

Gütesiegel? Solange drin ist, was drauf steht…

Klar ist, an schönen neuen Begriffen mangelt es uns nicht. Andererseits brauchen wir dringend weitere und andere Gütesiegel zur Bewertung unseres Tuns. Denn: Begreifen (was?) ist der erste Schritt für ein anderes Verhalten. Motivation (wozu?) und Erfahrung (wie?) unterstützen den Lernprozess. Der mit neuer Kluft und Benamung ausgestattete „Serviceengel“ bringt uns zur Verzweiflung, wenn hinter der Fassade der alte Jobverrichter zum Vorschein kommt. Für das individuelle und organisationale Lernen gilt dasselbe: Eine (lebenslange) Lernkultur braucht ein ebensolches interaktives, individuelles, integratives, informelles und initiatives Development, d.h. eine das Lernen in den Mittelpunkt stellende Strategie, Struktur und Kultur. Diese fünf „I’s“ als Kriterien der drei „L’s“ des Lifelong Learnings bilden einen guten Ausgangspunkt für die Gestaltung des eigenen Bildungsprozesses. Klassische Weiterbildungskataloge und zertifizierte Programme sind in der schönen neuen Welt des Lernens nicht obsolet, rücken aber vom Ziel- auf den Anfangspunkt der POE-Aktivität, i.e. nicht als Ergebnis der Bildungs(abteilungs)leistung, sondern als Mittel zum Zweck für das Neue, das daraus erst folgen soll.

Erfolgsfaktor Bildung in der L&D-Kultur

Das Learning and Development der Organisationen steht – in welcher Verantwortung und Bereichsbezeichnung auch immer – vor der enormen Herausforderung, offene und geschlossene, digitale und analoge, formale und informelle Bildungsangebote für einen einerseits verbindlichen und bewertbaren, andererseits individuell gestaltbaren Lernprozess bereitzustellen. Das verändert die Rolle der Personaler und Führungskräfte hin zu Impulsgebern und Coaches im Prozess. Und es verändert die Bedeutung des Lernens in und für die Organisation: Gerade auch kleine und mittlere Unternehmen können diese Aufgabe nicht an öffentliche Institutionen delegieren, sondern werden auch in ihrer Arbeitgeberattraktivität und ihrem Employer Branding an dieser Bildungsqualität gemessen. In der modernen LLL-Organisation findet Bildung immer statt, mit einer neuen Klassifikation individueller Lernszenarien und einem systematischen Transfer von Bildungs- in Unternehmenserfolg.

 

Ein Beispiel, wie Bildung in der Praxis neu gestaltet werden kann, finden Sie hier. Wissenswertes zum Lifelong Learning bzw. Digital Learning haben wir u.a. hier für Sie  formuliert.

Corporate Learning

Die Idee der lernenden Organisation ist bereits ein Viertel Jahrhundert alt oder – je nach Zählung – auch schon im Rentenalter angekommen, vielfach gewürdigt, generell akzeptiert und doch im Grunde nie wirklich realisiert. Viel lieber wird das Corporate Learning in kleinteilige (Change-)Managementprogramme verpackt, deren Projektziele jedoch keine dauerhafte Dynamik befördern können. Aktuell verzeichnen wir eine Art Renaissance der „weicheren“, evolutionären Entwicklungsformate, denen jedoch stets ein grundlegender Schönheitsfehler innewohnt: das Lernen der Organisation wird strukturell und prozessual definiert, ohne jedoch die komplexen und heterogenen individuellen Lernprozesse – nicht als Anpassungsmaßnahme, sondern vielmehr als permanenten Impetus zur Veränderung – darin maßgeblich zu verankern und zu positionieren. Tatsächlich leisten sich viele „moderne“ Organisationen einen extrem unmodernen Umgang mit dem Wissen und den Erfahrungen ihrer Mitglieder. Während intern die Zeichen längst auf ständige Veränderung, Vernetzung und Integration stehen, bleiben die Aus-und Weiterbildungsaktivitäten räumlich, zeitlich und programmatisch noch außen vor.

 

„I learn – we grow“

Ein Bewusstseins- und Kulturwandel ist also erforderlich, wenn über die Idee der lernenden Organisation das Unternehmen selbst zum Lernort werden soll. So theoretisch das klingt, so plausibel scheint es in der Realität. Adidas macht es mit seiner Corporate Academy gerade vor: Nach dem Motto „I learn – we grow“ heben sich die Grenzen zwischen individuellem und strukturellem Lernen auf, stehen nicht statische Programme und individuelle Maßnahmen im Fokus, sondern ein ständiges Lernen mit- und füreinander in einer Selbstorganisation und Zusammenarbeit gleichermaßen inspirierenden und fördernden Lernkultur: „an environment in which all employees equally teach and learn, and acquire knowledge and skills in a variety of ways to best suit present and future generations“ (www.blog.adidas-group.com, 5/2012).

 

Corporate Learning braucht Kollaboration

Der Schlüssel liegt in einem altbekannten, häufig kolportierten und immer wieder in Frage gestellten Konzept, der sogenannten „70-20-10-Regel“ (anschaulich dargestellt beispielsweise im Video von Charles Jennings). Danach erlernen wir unser berufliches Wissen zu 70 % durch konkrete Erfahrungen, Anwendungen und Unterstützung im Arbeitsprozess selbst, zu 20 % durch Kommunikation und Beratung mit anderen Menschen, als Kollege, Coach, Netzwerkkontakt etc.. Lediglich 10% der Lerneffekte entsteht durch formale Angebote wie Trainings, Seminare oder Schulungen, d.h. die klassische Form, wie Weiterbildung üblicherweise im organisatorischen Kontext realisiert und wird. Aus dieser Faustregel – ob sie nun tatsächlich einer empirischen und theoretischen Prüfung stand hält oder nicht – hat Adidas seine wesentlichen Prinzipien für die Corporate University abgeleitet.

 

Working is learning and learning is working

Arbeit wird zum dauerhaften Lernprozess, während das Lernen nicht mehr neben- oder untergeordnet als wirkungsvolle und bezahlte Tätigkeit definiert werden muss. Selbstlernen und Innovation sind begründeter Anspruch an alle Mitarbeiter, dabei gehen Führungskräfte als selbst aktiv Lernende, Lehrende und Wissen Teilende voraus. Die soziale Kultur eines selbst gesteuerten lebenslangen Lernens ist dabei Voraussetzung und Ergebnis des Lernens zugleich.

 

Lernen als Entwicklungsprozess

Das selbst organisierte, informelle Lernen ist ein Konzept, das bereits in den 1960er Jahren verbreitet war. Ergänzt durch die neuen Formen des flipped oder social learnings wird dieses in einen virtuellen oder realen Kontext des gemeinsamen Wissenserwerbs gestellt. Diesen hat Adidas bereits vor Gründung seiner Academy genutzt: In einem „Blog Carnival“ wurden Ideen über eine wahrhaft lernende Organisation, die Vision einer zukunftsfähigen Corporate University und den Herausforderungen für ein erfolgreiches Corporate Learning als Open Innovation-Prozess generiert und schließlich mittels kreativer und strategischer Techniken zu einem Konzept aggregiert, das seit einem Jahr nun erfolgreich in die Praxis umgesetzt ist.
Bedeutet dies nun, dass alle klassischen Trainingsangebote für Unternehmen, Mitarbeiter und Führungskräfte plötzlich obsolet sind? Sicher nicht, und auch Adidas nutzt durchaus definierte Karrierepfade und modulare Aus- und Weiterbildungsaktivitäten. Allerdings wird der Blick – über die klassische Transferleistung hinaus – nachdrücklicher auf die aktuelle Organisationsrealität gelenkt und die Herausforderung erhöht, Lehr- und Lernangebote noch spezifischer zu gestalten, didaktische und kommunikative Möglichkeiten noch stärker zu nutzen und unterschiedliche Formen des virtuellen und sozialen, formalen und informellen Lernens flexibel zu integrieren. Lernen ist ein Veränderungsprozess, der nicht nur die Erfahrungen des Einzelnen, sondern die Möglichkeiten der gesamten Organisation tangiert. Damit dies gelingt, muss ein Kulturwandel stattfinden, der Lernen „einfach mal so“ schlicht erst ermöglicht und erlaubt.