Social Media

Digitalisierung für Einsteiger: Episode 1 – Von falschen Gegensätzen und immensen Randgruppen

Das Thema Digitalisierung beherrscht die aktuelle Diskussion im Bereich der Geschäftsmodelle, der Führung sowie der Unternehmenssteuerung wie kein Zweites. Dabei reichen die Reaktionen von der totalen Euphorie bis hin zur Prophezeiung der Apokalypse. Nur wirklich kalt lässt das Thema erfreulicherweise immer weniger Menschen. Wer sich diesem Phänomen mit einer gewissen Neugier nähert, läuft jedoch schnell Gefahr, durch fehlleitende Sprachgebilde – seien sie nun bewusst oder fahrlässig eingesetzt – hinsichtlich der Frage, wie das eigene Unternehmen mit dieser Digitalisierung umgehen soll, auf eine falsche Fährte gelockt zu werden. Dieser Blogbeitrag kann dabei helfen, die Dinge richtig einzuordnen.

 

Digitale und reale Welt

Wenn von den aus der Digitalisierung resultierenden Veränderungen gesprochen wird, verwenden viele Personen gerne das – vermeintliche – Gegensatzpaar „digital“ und „real“. Digital bezeichnet dabei dann die Entwicklungen und Möglichkeiten der „neuen digitalen Welt“, „real“ die bestehenden, greifbaren Gegebenheiten. Gefährlich wird dies, wenn man daraus nun ableitet, dass Dinge welche digital bzw. virtuell sind, dadurch eben nicht real sind. Diese Fehleinschätzung wird dann problematisch, wenn ein Unternehmen bspw. dringend benötigte Fachkräfte nicht gewinnen kann, da die Google Suche zum Unternehmen schnell die „Kununu“-Ergebnisse hinsichtlich der Arbeitgeberqualitäten aufzeigt, welche eine römische Galeere als vergleichsweise angenehmen Arbeitsplatz beschreiben. Oder eine Pizzeria sich über leer bleibende Tische wundert, während in den „TripAdvisor“-Bewertungen darauf hingewiesen wird, dass jede „Dr. Oetker“-Pizza den Arbeitsergebnissen des verantwortlichen Bäckers vorzuziehen ist (tatsächlich ein reales Beispiel) . In beiden Fällen ist die Plattform der Information zwar digital, die Auswirkungen auf die Zielgruppen zeigen sich jedoch bis in die realste aller ökonomischen Messgrößen – den Kontostand des Unternehmens.

Dinge die digital sind, können also durchaus gravierende Auswirkungen auf bestehende geschäftliche Sachverhalte haben. Und dies dummerweise sogar auch dann, wenn man für sich selbst bzw. für das eigene Unternehmen beschlossen hat, sich von all diesem digitalen Teufelswerk möglichst weit entfernt zu halten. Leider bleibt mir an dieser Stelle nichts anderes übrig, als einzugestehen, dass ich für „digital“ auch kein passenderes Antonym parat habe. Dies ist jedoch nicht wirklich schlimm, denn dieser ominöse Drang zur Abgrenzung des Digitalen vom Bestehenden sollte besser heute als morgen obsolet werden. Dem steht jedoch eine weitere Problemstellung entgegen:

Der Mythos „Netzgemeinde“

Dieses weitere kapitale Missverständnis-Potenzial liegt im leidigen Begriff der „Netzgemeinde“. Diese kirchlich anmutende Wortschöpfung wird zum Beispiel gerne dazu verwendet, wenn Moderations-Assistenten im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zum Auffüllen der Sendezeit mit dem Vorlesen der – politisch korrekten – Twitter-Kommentaren zur Sendung beauftragt werden. Auch Politiker nutzen diesen Begriff gerne, wenn sie von ihren tapsigen Erkundungen des „Neulands“ berichten.

Wo das Problem dabei liegt? Der Begriff „Netzgemeinde“ suggeriert dem Betrachter bzw. Zuhörer, dass es sich hierbei um eine greifbare Randgruppe handelt, welche über eine überschaubare Mitgliederzahl verfügt, eine gemeinsame Interessenslage besitzt und zudem losgelöst von der vermeintlichen Wirklichkeit des Probanden in ihrer digitalen Blase agieren. Als wären die Nutzer des Internets im Allgemeinen und der Social Media Plattformen im Speziellen eine kleine Gruppe Sonderlinge, welche sich in einem lichtgeschützten Bunker an ihren Netzaktivitäten erfreuen und welche man als Neuling in der digitalen Welt zu besonderen Anlässen aufsuchen kann. Der Blick in Twitter als moderner Weg zum Orakel von Delphi.

Eine aus Sicht von Digital-Skeptikern sicher sehr charmante Abgrenzung von vermeintlich separierten Realitäten, welche jedoch nicht weiter von der Wahrheit entfernt sein könnte: So lag der Anteil der Internetnutzer in Deutschland – bemessen an der Gesamtbevölkerung – in 2015 bei fast 78 % (Quelle: Statista). Wenn Sie sich also einmal vorstellen, ihr deutscher Markt wäre ein kleines Dorf mit 100 Einwohnern, könnten Sie immerhin 78 Personen davon – natürlich dummerweise auf unterschiedlichsten Wegen und über unterschiedliche Plattformen – über digitale Kanäle erreichen. Eine doch ziemliche bedeutsame Randgruppe.
(Dass ein Dorf dieser Größe in Deutschland tatsächlich einen belastbaren Internetzugang hat, ist natürlich ein rein theoretisches Denkkonstrukt. Im Hinblick darauf, dass die neue „Digital“ -„Strategie“ der Bundesregierung primär darauf abzielt, die magentafarbene Kundenservice-Ikone des Netzbetriebs durch eine zweitklassige Technologie wieder zu einem erstklassigen Monopolisten zu machen (vgl. hierzu bspw. Thaele, J.: Warum Glasfaser der Vectoring-Technik haushoch überlegen ist), wird sich hieran leider auch mittelfristig nichts ändern.)

 

Die richtige Zielgruppenansprache

Es bleibt also festzuhalten, dass Unternehmen im Web keine überschaubare Gruppe an IT-Freaks begegnet, sondern die Mehrzahl der Bevölkerung, und damit auch die eigenen Kunden, Lieferanten und Mitarbeiter. Verantwortliche, denen das nicht bewusst ist, agieren gerne mit besonderen Werbeaktionen und Ansprachen, ausschließlich für die „Netzgemeinde“. Im besten Fall gelingt hier ein Glückstreffer oder der Kommunikationsversuch verpufft zumindest wirkungslos. Dann ist nicht viel erreicht, aber immerhin auch nicht viel kaputt. Im schlechteren Fall mündet die fixe Idee, Webplattformen als Marketing-Versuchslabor zu verwenden, in denen man an auserwählten Probanden neue Ansprachen und Produkte erprobt, mit welchen man sich noch nicht an die Stammmärkte wagen möchte. Dieser naive Versuch, einen Gesichtsverlust des Unternehmens abzuwenden, mündet zumeist genau in diesem.

Natürlich gibt es auch das andere Extrem: Unternehmen, welche mit einem Minimal-Budget eine Online-Werbeanzeige schalten und nun hoffen, nur noch Minuten vor der Erschließung unermesslicher neuer Marktpotenziale zu stehen. Dies erinnert dann auf amüsante Art und Weise an Facebook-Neulinge, welche ihre 15 „Freunde“ täglich mit „Guten Morgen Welt!“ begrüßen. Was nicht bedeutet, dass Online-Marketing zwangsläufig teuer sein muss. Doch erst wenn die Erkenntnis gereift ist, dass die Netzgemeinde eben nicht DIE Netzgemeinde ist, sondern vom Kleintierzüchter-Forum, über Sushi-Blogs bis zur Aufsichtsrats-Community reicht, kann der nächste Schritt erfolgen: Eine aktive Auseinandersetzung mit den wirklichen relevanten Zielgruppen. Aber das ist genug Stoff für eine ganz neue Geschichte.

 

Sebastian Reek
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