Open Space – das neue Raumwunder sozialer Kommunikation

Stopp – nicht gleich aufhören zu lesen, wenn Sie gleich merken, dass es nicht um weitere Tipps zu einer mittlerweile ganz gut etablierten und tauglichen Methode geht. Darf man sich einen Begriff einfach ausleihen? Und dann noch anders verwenden? Wenn es dem besseren Begreifen dient, ist das doch wohl erlaubt. Vor allem dann, wenn wir in der Beschreibung und systematischen Erforschung von Kommunikation gerade deutlich mehr haben als ein rein sprachliches Problem. Open Space meint die Auflösung, Neuformierung und Neuerfindung des sozialen Raums im Dauermodus. Kommunikationskonzepte, die von Eindeutigkeit, Begrenztheit und Kontrollierbarkeit ausgehen, gehören daher in die Mottenkiste einer so bestimmt auch nie da gewesenen Vergangenheit.

Im Dschungel der Infosphäre

Schuld ist vermutlich das Internet: der Dschungel zeit- und raumübergreifender, gleichzeitig und widersprüchlich auftretender Information. Digitalität im Sinne einer offenen, dynamischen, virtuell und analog sich gestaltenden Welterfahrung sprengt die Grenzen unserer Wahrnehmungs- und Verarbeitungskapazität. Diese Beschränktheit ist jedoch nicht neu: Auch in früheren Zeiten, als die Regale des Weltwissens noch überschaubarer gefüllt oder – wie es David Weinberger in seinem aktuellen Buch formuliert – vielleicht auch einfach nur zu knapp geschreinert waren, hinkten wir in unserem individuellen Verständnis dem verfügbaren Wissenspotenzial stets hinterher. Die wirkliche Revolution liegt daher auch nicht in der quantitativen und qualitativen Wissensexplosion, sondern in der neuen Logik des in und durch soziales Wissen offen gestalteten, mit unserem individuellen Wissen nicht mehr zugänglichen Raums für Kommunikation.

Die vierte Revolution der Kommunikation

Die Infosphäre zeigt in ihrer zur Schau getragenen Unbegrenztheit unsere eigenen intellektuellen Schranken deutlich auf. Das bezeichnet der Philosoph Luciano Floridi als 4. Revolution der menschlichen Identität: Kopernikus verwies uns auf unsere physikalische Begrenztheit, Darwin auf den Boden biologischer bzw. genetischer Tatsachen, Freud auf die psychologischen Grenzen bewusster Existenz. Der von uns selbst geschaffene Inforaum schließlich degradiert uns vom Architekten bestenfalls zum Meisterschüler, der auf seiner Reise durch die Welt als „Inforg“ Richtung, Ziel und Sinn immer wieder neu erleben, aushandeln und für sich begreifbar machen muss.

Das Glück in der Nische

Ziel der Reise: unbekannt? Das große Ganze aus den Augen verlierend, finden und produzieren moderne Welteroberer ihr Glück in der Nische. Für den sozialen Zusammenhalt ist dies jedoch fatal. Wo gemeinschaftlicher, regelbasierter Diskurs ausbleibt, resultiert Verfall, bleiben Fragmente einer öffentlichen Meinung, die immer nur Teil, niemals jedoch konsentierte Gesamtheit für sich beanspruchen kann. Bei gleichzeitiger Öffnung der Zugänge wird der Prozess der öffentlich posaunten Statements immer lauter und chaotischer. Im open space digitalisierter Kommunikation werden Dialog und Meinungsbildung durch die Dynamik des „allgemeinen Hechelns“ (Geyer/FAZ) und der „großen Gereiztheit“ (Pörksen) ersetzt.

Wanted: Neuerfindung der Kommunikation(swissenschaft)

Ganz gleich, wie kritisch der Tenor ist: der philosophische Blick auf die Verschiebung, Entgrenzung und Auflösung des kommunikativen Feldes und seiner Akteure wirft drängende Fragen auf. Bisher konnten sich die Kommunikationsexperten in Wissenschaft und Praxis noch ganz gut auf ihre bewährten Muster, Modelle und Instrumente verlassen. Mit dem Adjektiv „digital“ versehen, wurden zumindest einige Erscheinungsformen der sich verändernden privaten und beruflichen Kommunikation benannt. Eine Kommunikation jedoch, die die digitale Transformation nicht nur erklärt, begreift und gestaltbar macht, muss sich selbst in ihrer transformierten Version erst einmal erkennen und reformieren. Neue Begriffe braucht das Land, um das neue Zusammenspiel, die neuen Regeln und das neue Spielfeld zwischen Sendern und Empfängern bzw. „Producern“, zwischen Medien und Kanälen bzw. cross-medial und multi-modal, im Spannungsfeld als technologische, psychologische und vor allem soziale und ethische Herausforderung zu verstehen.

Anja Ebert-Steinhübel
2 Kommentare
  1. Falko Wilms
    Falko Wilms sagte:

    Hallo,
    mit der unnachahmlichen Luhmann‘schen Systemtheorie ist es klar, das wir in den kommunikativen Räumen (er)leben, die wir selber zwischen uns Mitgestaltung. Statt Eindeutigkeit oder Kontrollierbarkeit geht es eher um Relationalität und Zuschreibung.
    Grüße
    Falko Wilms

    Antworten
    • Anja Ebert-Steinhübel
      Anja Ebert-Steinhübel sagte:

      … und genau das ist doch unsere Chance, oder?
      Vielen Dank für die Anregung und beste Grüße zurück
      Anja Ebert-Steinhübel

      Antworten

Dein Kommentar

An Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns Deinen Kommentar!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert